Pressemitteilung

Gespräche mit Merz gescheitert – Bürgermeister schaltet Wirtschaftsminister ein

Es war ein Kampf bis zum Schluss. Nun aber steht fest: Das Pharma-Unternehmen Merz (Tetesept, Merz Spezial Dragees) wird die geplante neue Green Factory am südlichen Stadtrand von Reinheim, die dort für 120 Millionen Euro mit besonderen Klimastandards entstehen sollte, nicht mehr bauen. Merz hat zudem angekündigt, Reinheim zu verlassen. Ende 2027 soll Schluss sein. Etwa 230 Arbeitsplätze sind davon betroffen.

Das Unternehmen will stattdessen seinen Produktionsstandort in Dessau ausbauen. Für die Stadt Reinheim bedeutet das den Verlust von rund zwei Millionen Euro Gewerbesteuer. In Dessau wird das Unternehmen aber etwa eine halbe Million Gewerbesteuer mehr bezahlen. Die Entscheidung löst Betroffenheit bei Reinheims Bürgermeister Manuel Feick und Landrat Klaus Peter Schellhaas aus.

Denn die Stadt Reinheim und der Landkreis Darmstadt-Dieburg haben alles Erdenkliche getan, um Merz den Neubau zu ermöglichen – bis zum Schluss. Als die Nachricht, dass Merz Reinheim verlassen will, schon die Belegschaft erreicht hatte, versuchte Bürgermeister Manuel Feick, diese Entscheidung noch rückgängig zu machen. Er stellte dem Unternehmen nicht nur neue Zusagen der Stadt in Aussicht, unter anderem die Option einer Reduzierung der Gewerbesteuer für einen gewissen Zeitraum, sondern er bemühte auch die politischen Instanzen, von Fördertöpfen des Bundes bis hin zum Landtagsabgeordneten Bijan Kaffenberger, der mit dem hessischen Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori telefonierte und ihn dann auch schriftlich den Sachverhalt schilderte. Manuel Feick suchte zudem das Gespräch mit der Unternehmensleitung, das schließlich am Donnerstagnachmittag geführt wurde. Ab da herrschte Gewissheit: Das Unternehmen hält an seiner Entscheidung fest.

Dabei hatten sich die Stadt und der Landkreis schon zuvor um einen Verbleib von Merz bemüht. Vor einem Jahr, als schließlich die Entscheidung für den Neubau gefallen war, schrieb Bürgermeister Manuel Feick an das Unternehmen: „Ich werde alles dafür tun, um Ihnen bei der Realisierung dieses nachhaltigen und besonderen Projektes eine Stütze zu sein und freue mich sehr, dass Sie mit Ihrer Entscheidung nicht nur Verbundenheit, sondern auch Vertrauen in Reinheim in einem besonderen Maße zeigen - heute ist ein guter Tag für unsere Stadt!“ Die Stadt hatte damals schon dem Unternehmen konkrete Hilfen zugesagt, so etwa die Kostenübernahme für eine Lkw-Anbindung oder die Erschließung des Baugrundstücks, die Aufwertung der kommunalen Feuerwehr mit zwei zusätzlichen Tanklöschfahrzeugen, was weit über das gesetzliche Maß hinausgeht, aber dem neuen Standort Rechnung getragen hätte. Hinzu kamen die Sicherstellung von Ausgleichsflächen, Kooperation bei einer möglichen Kinderbetreuung auf dem Firmengelände und die Unterstützung bei der Wohnraumsuche für Mitarbeiter oder die schnelle Bearbeitung des Bauantrags. „Ich habe so dafür gekämpft“, sagt Feick. Er hatte dem Unternehmen auch zugesagt, dass alle Anliegen von Merz grundsätzlich immer „Chefsache“ im Rathaus sind und „innerhalb des Rathausteams höchste Priorität“ haben.

„Wir waren schon so weit, dass der Bauantrag eingereicht werden sollte, wir haben wirklich massiv für diesen Neubau gekämpft“, sagt Manuel Feick. Und Landrat Schellhaas bestätigt: „Aus meiner Sicht waren alle Hindernisse beseitigt.“ Nun ist alles anders. „Es ist nicht alleine das Finanzielle für die Stadt“, sagt Feick, „aber was das mit dem sozialen Gefüge in Reinheim anrichtet, kann man nicht absehen. Es gibt ja eine absolute Verbundenheit zur Stadt und zur Bevölkerung. Die Menschen in Reinheim hatten sich so gefreut, als die Entscheidung für den Neubau und den Standort Reinheim gefallen war.“

Und noch etwas bewegt Landrat und Bürgermeister: „Als man mich vor zwei Jahren über die Problematik des jetzigen Standortes, der keine Erweiterung zulässt, informierte und ein möglicher Weggang im Raum stand, waren wir am Prozess beteiligt, waren informiert und konnten uns bewerben, was wir getan haben. Folge war die positive Entscheidung zum Standort Reinheim“, erklärt Manuel Feick. Dass es nun aber einen neuerlichen Prozess gab, der nun letztendlich zum Wegzug führt, habe die Stadt nicht gewusst. „Wir waren nicht informiert. Wir hatten also keine Chance, uns erneut zu bewerben“, sagt Feick. Wie kurzfristig der neuerliche Prozess innerhalb der Firma Merz gewesen sein muss, ist daran zu erkennen, dass die Bäume am neuen Standort in Reinheim schon zum Fällen markiert sind.

Bürgermeister Manuel Feick ist trotzdem nicht bereit, diese Entscheidung so zu akzeptieren. Er will weiterhin für den Erhalt der Arbeitsplätze und die 80-jährige Verbundenheit als verlässliche Partner kämpfen, zumal die Stadt Dessau dem Unternehmen überhaupt kein Angebot zur Unterstützung gemacht hat. Hierzu sind Gespräche mit dem Hessischen Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori geplant.

Seit 1944 hat die Firma ihren Standort in Reinheim, 80 Jahre. Die meisten Reinheimer kennen die Stadt ohne Merz gar nicht. „Es ist ein ganz wesentlicher Identifikationsfaktor“, sagt auch Landrat Schellhaas, der sich trotz allem bei der Eigentümerfamilie für die lange Treue zum Standort bedankt. „Umso mehr bedauern wir allerdings diese Entscheidung.“

Die Wurzeln des Unternehmens liegen gleich nebenan in Groß-Bieberau. Firmengründer Friedrich Merz (1884-1979), der Ehrenbürger der Stadt war und bis zu seinem Tod in Rodau wohnte, hatte die Firma 1908 gegründet und zunächst in Frankfurt produziert. Während des Zweiten Weltkriegs verlegte er die Produktion 1944 wegen der Bombenangriffe näher an seinen Geburtsort Groß-Bieberau: nach Reinheim. Dort werden seit 1964 unter anderem die Merz Spezial Dragees hergestellt. Die Familie Merz hinterließ noch weitere Spuren im Gersprenztal: 1920 half Friedrich Merz seinem Bruder Georg und Justus Krell bei der Gründung der Schreibwarenfirma Merz & Krell, die heute unter dem Namen Senator weltbekannt ist, aber seit 2016 nicht mehr zur Merz-Gruppe gehört.